Antrag

11. März 2025

Solidarität statt Sondierungssünden!

Antragsteller*in: Vorstand der Jusos Freiburg


Weiterleitung an: SPD Landesparteitag Baden-Württemberg, SPD Landesvorstand Baden-Württemberg, SPD Bundesvorstand, SPD-Fraktion im Bundestag

Antragstext

Die Kreismitgliederversammlung der SPD im Kreisverband Freiburg möge beschließen:
Die SPD Freiburg fordert die SPD Baden-Württemberg und die SPD-Bundesspitze auf, sich entschieden gegen migrationspolitische Verschärfungen zu stellen, die nicht nur rechtlich bedenklich, sondern vor allem mit den Grundwerten der Sozialdemokratie unvereinbar sind. Eine solche Politik widerspricht den Prinzipien von Solidarität, Humanität und sozialer Gerechtigkeit, die unser politisches Handeln leiten – daher sind die von SPD und CDU/CSU im Sondierungspapier vereinbarten Maßnahmen nicht tragbar. Deshalb fordern wir:

  1. Kein Bruch des Grundrechts auf Asyl – Das Grundrecht auf Asyl ist unantastbar und darf nicht durch Zurückweisungen an den Grenzen oder andere Maßnahmen untergraben werden. Deutschland muss seiner historischen Verantwortung gerecht werden und Schutzsuchenden einen fairen Zugang zu Asylverfahren ermöglichen, statt durch restriktive Maßnahmen das Recht auf Schutz auszuhöhlen.
  2. Beibehaltung freiwilliger Aufnahmeprogramme – Schutz für gefährdete Gruppen muss gewährleistet und ausgebaut werden. Programme zur sicheren Einreise sind essenziell für besonders Schutzbedürftige wie Ortskräfte oder verfolgte Minderheiten. Die Beendigung dieser Programme wäre ein Verrat an unseren humanitären Verpflichtungen und würde viele Menschen in lebensbedrohlichen Situationen zurücklassen.
  3. Erhalt des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte – Das Recht auf Familie darf nicht eingeschränkt werden. Familienzusammenführung ist ein fundamentales Menschenrecht und trägt maßgeblich zur Integration von Schutzsuchenden bei. Ein Verbot des Familiennachzugs würde Familien auseinanderreißen und Geflüchtete in eine noch prekärere Lage bringen – besonders für Minderjährige.
  4. Kein Abbau des Rechtsschutzes für Geflüchtete – Zugang zu fairen und rechtsstaatlichen Verfahren muss gesichert bleiben. Ein funktionierender Rechtsstaat misst sich an der Fairness seiner Verfahren. Die Abschaffung von Rechtsbeistand für Geflüchtete und der Wechsel vom Amtsermittlungs- zum Beibringungsgrundsatz gefährden die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien und öffnen Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen.
  5. Keine weitere Einführung der Bezahlkarte – Geflüchtete dürfen nicht in ihrer finanziellen Selbstbestimmung und sozialen Teilhabe eingeschränkt werden. Die Bezahlkarte ist ein Mittel der Diskriminierung, das darauf abzielt, das Leben von Geflüchteten unnötig zu erschweren. Finanzielle Unabhängigkeit und soziale Teilhabe müssen für alle Menschen in Deutschland gewährleistet sein.
  6. Kein Entzug der Staatsangehörigkeit – Die Möglichkeit zu schaffen, die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund von wie auch immer gearteter Gesinnung zu entziehen, ist absolut inakzeptabel. Eine dadurch verursachte Angst vor Ausbürgerung, auch bei denjenigen, die fest auf dem Boden unserer Werte und Verfassung stehen, bedeutet eine Zweiklassengesellschaft der deutschen Staatsbürgerschaft.

Begründung:

Die geplanten migrationspolitischen Maßnahmen stehen im fundamentalen Widerspruch zu den Werten der Sozialdemokratie. Sie sind nicht nur rechtlich höchstwahrscheinlich nicht durchsetzbar, sondern moralisch nicht vertretbar. Wer sich zu einer humanen Asylpolitik bekennt, kann solche Regelungen nicht mittragen.

  1. Kein Bruch des Grundrechts auf Asyl: Die Zurückweisung von Schutzsuchenden an den Grenzen verstößt sowohl gegen die Dublin-Verordnung als auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die als völkerrechtlicher Vertrag rechtlich bindend ist. Das EU-Recht hat in Deutschland Anwendungsvorrang, weshalb nationale Gesetze wie § 18 IV AsylG oder Art. 16a II 1 GG im Widerspruch zum Unionsrecht nicht angewendet werden dürfen. Auch eine Berufung auf Art. 72 AEUV ist nicht haltbar, da Deutschland eindeutig keine asylpolitische Notlage aufweist. Die Unionsrechtswidrigkeit der Zurückweisungen an der deutschen Grenze wurde auch bereits im September in einem Gutachten des Kanzleramts festgestellt. Es ist daher umso unverständlicher, wie diese Position es dennoch in das Sondierungspapier geschafft hat. Eine solche Maßnahme untergräbt nicht nur das Grundrecht auf Asyl, sondern würde das europäische Asylsystem destabilisieren und Mitgliedstaaten an den Außengrenzen überproportional belasten, was die Gefahr weiterer illegaler Pushbacks erhöht. Die im Sondierungspapier geforderte Abstimmung mit den europäischen Nachbarn ist nicht aussichtsreich, wie Österreich auch bereits klargestellt hat. Möglich wäre lediglich ein einseitiges Handeln der Bundesrepublik. Daraufhin wäre zu erwarten, dass andere EU-Staaten sich ebenfalls nicht länger an die Dublin-VO gebunden fühlen könnten. Das hätte zweifellos den Zusammenbruch des jetzigen europäischen Asylsystems, sowie damit einhergehend massive Menschenrechtsverletzungen zur Folge.
  2. Beibehaltung freiwilliger Aufnahmeprogramme: Die Beendigung freiwilliger Bundesaufnahmeprogramme, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Ortskräfte oder verfolgte Minderheiten, ist unsolidarisch und widerspricht der Verantwortung Deutschlands für den Schutz dieser Menschen. Gerade im Fall Afghanistans ist offensichtlich, dass Menschen, die sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, in akuter Gefahr sind. Der Verweis auf eine angebliche Überlastung ist nicht haltbar: Bislang hat nur ein Bruchteil der zugesagten Personen tatsächlich die Einreise nach Deutschland geschafft. Das sind gerade einmal 500 Menschen. Statt die Programme abzubauen, braucht es einen Ausbau sicherer Fluchtwege. Gleichzeitig ist wichtig anzumerken, dass die Gesamtanzahl von Asylanträgen in Deutschland bereits seit mehreren Jahren rückläufig ist.
  3. Erhalt des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte: Die geplante Einschränkung des Familiennachzugs trifft eine der größten Gruppen von Geflüchteten in Deutschland und verhindert Integration. Seit 2018 werden ohnehin nur 1.000 Visa pro Monat für Familiennachzug erteilt. Besonders dramatisch ist die Situation für unbegleitete Minderjährige, deren Eltern nachgeholt werden sollten. Ein Verbot des Familiennachzugs verletzt das Recht auf Achtung des Familienlebens (Art. 8 EMRK), die UN-Kinderrechtskonvention sowie Art. 6 I GG, der Ehe und Familie unter besonderen Schutz stellt. Familien dürfen nicht gezwungen werden, lebensgefährliche Fluchtwege auf sich zu nehmen, um zusammenzubleiben.
  4. Kein Abbau des Rechtsschutzes für Geflüchtete: Die geplante Abschaffung des verpflichtenden Rechtsbeistands für Geflüchtete in Abschiebehaft und der Wechsel vom Amtsermittlungs- zum Beibringungsgrundsatz sind rechtsstaatlich höchst bedenklich. Die Pflichtbeiordnung in Abschiebehaft stellt sicher, dass Menschen, denen die Freiheit entzogen wird, ein faires Verfahren erhalten – ein fundamentales rechtsstaatliches Prinzip. Schätzungen sagen aus, dass bis zu 50 % der Abschiebehaftanordnungen fehlerhaft sind. Der Wechsel zum Beibringungsgrundsatz bedeutet, dass Schutzsuchende selbst alle relevanten Beweise vorlegen müssen, ohne dass die Gerichte diese von sich aus prüfen. Nach dem bisher geltenden Amtsermittlungsgrundsatz sind die Gerichte dazu sogar verpflichtet. Dies benachteiligt finanziell und sprachlich schwache Schutzsuchende massiv und untergräbt die rechtsstaatliche Kontrolle. Zudem hat diese Änderung auch weiterreichende Auswirkungen auf das Verfahren. So müsste z.B. auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewisse Tatsachen beweisen. Im Status Quo erscheint jedoch in den allermeisten Verfahren nicht einmal ein Behördenvertreter zur Verhandlung. Die sowieso schon oft überlasteten Behörden wären also gar nicht in der Lage, diese zusätzlichen Aufgaben zu erfüllen. Die Folge wäre vor allem eine deutliche und unnötige Verlängerung der Verfahren. Die Reform zielt evident darauf ab, die hohe Erfolgsquote von Schutzsuchenden vor Gericht drastisch zu senken. Sie verstößt zudem gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes und ist nach Rechtsprechung des EuGH unionsrechtswidrig.
  5. Keine weitere Einführung der Bezahlkarte: Die Bezahlkarte ist kein neutrales Verwaltungsinstrument, sondern ein gezieltes Mittel der Diskriminierung. Sie entzieht Betroffenen finanzielle Selbstbestimmung, erschwert ihren Alltag und fördert soziale Ausgrenzung. Die Begrenzung auf geringe Bargeldbeträge bringt in einem Deutschland, in dem bei weitem noch nicht überall Kartenzahlung möglich ist, ein Defizit an sozialer Teilhabe mit sich. Das Erheben von Gebühren auf existenzsichernde Leistungen ist verfassungswidrig. Sozialgerichte haben solche Regelungen, die das menschenwürdige Existenzminimum verletzen, bereits im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als rechtswidrig eingestuft. Durch den behördlichen Einblick in Transaktionen werden sensible Daten in unverhältnismäßiger und rechtswidriger Weise offengelegt. Durch die Begrenzung auf lokale Akzeptanzstellen in wenigen Kilometern Umkreis, wird faktisch die Freizügigkeit eingeschränkt. Darüber hinaus führt die Maßnahme zu erheblichem bürokratischen Mehraufwand und belastet ohnehin überlastete Gerichte durch häufige Klagen der Betroffenen. Die SPD muss sich entschieden gegen diese Form sozialpolitischer Drangsalierung stellen. Migration wird nicht durch soziale Leistungen „angekurbelt“, sondern ist in den meisten Fällen eine Flucht vor Krieg und Verfolgung – nicht die Suche nach einer besseren Zahlungsmethode. Sozialdemokratische Politik muss auf Inklusion setzen, anstatt mit teurer Symbolpolitik die Lage der Menschen weiter zu verschlechtern.
  6. Kein Entzug der Staatsangehörigkeit: Mit dieser Forderung aus den Sondierungspapier wird ganz klar signalisiert, dass eine bestimmte Gruppe nicht zu unserer Gesellschaft gehört. Das umfasst nicht nur diejenigen, die Terrorunterstützer, Antisemiten oder Extremisten, die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen, sind, sondern auch alle, denen dies zu unrecht vorgeworfen wird. Zudem wird die juristische Prüfung dieser Möglichkeit zweifellos ergeben, dass sie entweder in Gänze mit Art 16 Absatz 1 GG unvereinbar, oder nur mit der Knüpfung an so hohe Anforderungen verfassungsgemäß ist, dass die Regelung praktisch so gut wie nie zur Anwendung kommen wird. Was bleibt, ist dann nur die fatale Signalwirkung.

Die SPD kann nicht einerseits für eine humane Migrationspolitik eintreten und gleichzeitig Verschärfungen mittragen, die Schutzsuchende entrechten und ausgrenzen. Die geplanten Maßnahmen sind nicht nur rechtlich angreifbar, sondern auch politisch unverantwortlich und moralisch verwerflich. Ein Koalitionsvertrag mit solchen Inhalten ist für Sozialdemokrat*innen nicht tragbar. Demgegenüber fehlt im gesamten Sondierungspapier die ausdrückliche Anerkennung, dass wir von Migration nicht nur profitieren, sondern aufgrund der demographischen Situation sogar auf sie angewiesen sind. Die „qualifizierte Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt“ soll „attraktiv“ gemacht werden und der „Fachkräftegewinnungsprozess“ soll „vereinfacht“ werden. Diese Forderungen stehen in ihrer extrem unterentwickelten Konkretheit, ihrem geringen Umfang und der ihnen nicht eingeräumten Priorität im Sondierungspapier in krassem Missverhältnis sowohl zu ihrer Dringlichkeit, als auch zu den geforderten Migrationsbegrenzungsmaßnahmen.


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